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Freitag, 12. Oktober 2012

Auf einen Euro Sozialmissbrauch kommen 1400 Euro an Steuerhinterziehung

Während Hartz-IV-Bezieher damit rechnen müssen, dass Kontrolleure sogar in ihren Kühlschrank blicken, um potentiellen Missbrauch aufzudecken, dürfen Wohlhabende in Deutschland in puncto Steuerzahlungen mit einem rücksichtsvollen und nachlässigen Vorgehen des Staates rechnen - und dass, obwohl dem notleidenden Fiskus damit dreistellige Milliardensummen entgehen.


Ein starkes Auseinanderklaffen beim Vergleichen von Sozialmissbrauch und Steuerhinterziehung wird im Telepolis-Interview mit Kim Otto vom Oktober 2010 deutlich. Otto arbeitet für das Politmagazin Monitor und ist Mitautor des sorgfältig recherchierten Buches "Schön Reich - Steuern zahlen die anderen".

In dem Interview werden die Überzahlungen im SGB2 (Arbeitslosengeld II, Hartz IV) für das Jahr 2009 mit 72 Millionen Euro angegeben. "Überzahlungen" sind dabei nichts anderes als eine sehr sachliche Ausdrucksweise für Sozialmissbrauch.
Die jährliche Steuerhinterziehung gibt die OECD mit über 100 Milliarden Euro an.
Das entspricht einem Verhältnis von etwa 1 : 1400 Sozialmissbrauch zu Steuerhinterziehung.

Der renommierte Journalist Kim Otto bei Telepolis zu den Zahlen: "Das ist also eine ganz andere Hausnummer und es gibt keinen öffentlichen Aufschrei. Obwohl diejenigen, welche hier betrügen, oftmals sehr reich sind. Auch sind die Zahlen des Sozialmissbrauches ja nicht gestiegen."

Anders ausgedrückt kommen auf 10 Cent Sozialbetrug fast 140 Euro an hinterzogenen Steuergeldern.

BA will das Internet nach Hartz-IV kritischen Blogs und Foren durchforsten und Strafanzeigen stellen

In einem vorliegenden internen Rundschreiben der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit an die Jobcenter kündigt die Vorsitzende Christiane Schönefeld an, Internetseiten, Blogs und vor allem Foren auf strafrechtliche Inhalte überprüfen zu lassen.

Christiane Schönefeld
Hintergrund ist der tödliche Angriff eines Erwerbslosen auf eine Jobcenter-Mitarbeiterin in Neuss. Ausnahmslos hatten Erwerbslosen-Initiativen bundesweit die Bluttat verurteilt und ihr Beileid für die Hinterbliebenen bekundet. Dennoch wurde auch in diesem Kontext in Foren und Blogs über die Zustände in den Behörden und das System Hartz IV diskutiert. Nicht wenige vertreten die Ansicht, dass die Zustände in den Behörden und das System Hartz IV eine Mitschuld an dem tragischen Unglück haben. Eben jene Berichte und Meinungsäußerungen scheinen der BA ein Dorn im Auge zu sein. 

Denn gleich zu Beginn der Rundmail bekundet Frau Schönefeld ihren Unmut darüber, dass auch gesellschaftliche Missstände benannt werden: "Der traurige Anlass hat bundesweit Bedeutung. Von einem Teil der Medien wird der Tod unserer Kollegin in der Berichterstattung zum Anlass genommen, Missstände und gesellschaftliche Verwerfungen anzuprangern“.

Es scheint, als würde die BA demnach Internetforen und Foren systematisch auf angeblich strafbare Äußerungen im Zusammenhang mit dem Tod der Mitarbeiterin durchforsten. So schrieb Schönefeld in ihrer Mail von "verharmlosenden, verfälschenden und sogar menschenverachtenden Beiträgen" und kündigte gleichzeitig an: "Wir werten diese Beiträge bundesweit auf justiziable Äußerungen aus und die Verfasser werden gerichtlich belangt.“

Die Echtheit dieser Rundmail wurde bereits von Werner Marquis, der bei der Regionaldirektion der Bundesanstalt für Arbeit für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, gegenüber dem Magazin „Telepolis“ bestätigt. Auf welche Weise das Internet durchsucht wird, konnte Marquis nicht sagen. Allerdings seien bereits erste Strafanzeigen gestellt worden.

Ein sehenswerte Reportage über die Hartz4-Lüge enthält nachfolgendes Video mit einem Vorabkommentar von Dirk Müller.


Anscheinend sollen durch repressive Maßnahmen die Menschen in Jobs gezwungen werden, die nicht ihrer Qualifikation entsprechen und die sie unter normalen Umständen auch nie annehmen würden. Wie diese Jobs den aussehen, kann man der letztjährigen Preisverleihung "Goldene Nase" entnehmen.

Callcenter zahlte Mitarbeiterin 21 Cent pro Stunde

Wie in jedem Jahr suchte die gewerkschaftsnahe Bürgerinitiative „Gegen Billiglohn für Gleichbehandlung“ Unternehmen, denen die Statue „Goldene Nase“ verliehen werden muss. Dabei werden Firmen gesucht, die weniger Lohn für gleiche Arbeit zahlen, einen rücksichtslosen Umgang mit ihren Mitarbeitern pflegen, die Gesundheit der Beschäftigten gefährden, Gesetze oder Tarifverträge missachten und Billiglöhne zahlen.

Im letzten Jahr schaffte den zweiten Platz ein Callcenter aus Erfurt. Das Unternehmen hatte nach Angaben der Bürgerinitiative etwa 50 Arbeitnehmer beschäftigt. Viele der Mitarbeiter waren auf der Mini-Job-Basis angestellt. Eine Beschäftigte hatte sich an den Verein gewendet, weil sie umgerechnet nur 21 Cent pro Stunde verdiente. Die Verdi-Bezirksgeschäftsführerin Corinna Hersel erläutert:

„Die Frau hatte einen Arbeitsvertrag für 14 Stunden pro Woche. Tatsächlich gearbeitet hat sie 50 Stunden und mehr. Zudem wurde nicht, wie im Vertrag stand, ihre Arbeitszeit entlohnt. Stattdessen erhielt sie ein Entgelt auf zustande gekommene Telefonkontakte.“ So kam es, dass die Mitarbeiterin in einem Monat nur einen Lohn von 43 Euro ausgezahlt bekam. „Rechnet man das auf die geleisteten Stunden um, liegen wir bei 21 Cent pro Stunde. Pünktlich überwiesen wurde der Lohn auch nicht“, wie Hersel erklärte. 

Quellen:
gegen-hartz.de (Artikel1, Artikel2
Hartz IV im Netz
Telepolis (Artikel1, Artikel2)


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